24. Mai 2023 · Campus-News
UZH NEWS – David Werner Je höher die Qualifikationsstufe in der Wissenschaft, desto geringer der Anteil der Frauen. Eine von der Universitätsleitung in Auftrag gegebene Studie untersucht dieses als «Leaky Pipeline» bekannte Phänomen. Vize-Rektorin Gabriele Siegert und Prorektorin Elisabeth Stark nehmen im Interview dazu Stellung.
Die Universitätsleitung hat bei der Soziologin Katja Rost und der Ökonomin Margit Osterloh eine Studie zum Thema «Leaky Pipeline» in Auftrag gegeben. Was war der Grund dafür, und worin bestand der Auftrag genau?
Gabriele Siegert: Als Vize-Rektorin bin ich unter anderem für die Gleichstellung an der UZH zuständig. Das Phänomen der Leaky Pipeline beschäftigt die UZH bereits seit Jahren, und seit Jahren verändert es sich nur marginal. Wir wollten wissen, warum das so ist und was man besser machen könnte, deshalb haben wir die Studie in Auftrag gegeben.
Elisabeth Stark: Als Prorektorin Forschung verantworte ich die Nachwuchsförderung, deshalb interessiert mich die Leaky Pipeline ebenfalls. Die Frage ist: Warum verlieren wir hochqualifizierte und akademisch interessierte junge Frauen insbesondere im und nach dem Doktorat? Welche Förderungsmassnahmen greifen und welche nicht? Das muss man mit empirischen Mitteln überprüfen.
Kannten Sie die Ergebnisse der Studie schon, bevor ein Bericht in der Sonntagszeitung am vorletzten Wochenende die öffentliche Debatte darüber auslöste?
Siegert: Der Bericht (PDF, 1 MB)zur Studie ist der Universitätsleitung seit September 2022 bekannt, er wurde auch in der Erweiterten Universitätsleitung und im Führungsdialog vorgestellt. Unsere Auftragsstudie hat wenig mit dem zu tun, was in den Medien herumgereicht wird. Wir finden darin kurze theoretische Erläuterungen zu möglichen Erklärungsfaktoren auf institutioneller und individueller Ebene. Wie für wissenschaftliche Studien üblich gibt es Ausführungen zur Empirie und zu den Daten. Dann gibt es ein vorsichtig formuliertes Auswertungskapitel, in dem unter anderem auch auf die Notwendigkeit weiterer empirischer Forschung verwiesen wird.
Stark: Wir haben Katja Rost und Margit Osterloh ermuntert, hier weiter zu forschen. Explizit beauftragt haben wir sie nicht mehr. Die Ergebnisse der Auftragsstudie hatten uns alle überrascht, und wie in der Wissenschaft üblich, galt und gilt es immer noch, einzelne Erklärungshypothesen für das Bild, das sich aus den erhobenen Daten ergab, zu überprüfen. Die beiden Forscherinnen haben dann im Rahmen des Universitären Forschungsschwerpunktes «Human Reproduction Reloaded» eine vertiefende Folgestudie mit dem Titel «How to explain the Leaky Pipeline» gemacht. Die öffentliche Debatte bezog sich primär darauf. Die Ergebnisse dieser zweiten Studie waren noch nicht veröffentlicht, als der Bericht darüber in der Sonntagszeitung erschien. Das Peer-Review-Verfahren steht noch aus. Die Universitätsleitung hatte von den Details dazu also keine Kenntnis. Angesichts der öffentlichen Debatte haben wir die Autorinnen gebeten, diese zweite Forschungsarbeit auf der Website von Katja Rost zugänglich zu machen.
Warum?
Siegert: Aus Gründen der Transparenz. Die Debatte ist nun einmal lanciert. Wir waren der Meinung, dass die interessierte Öffentlichkeit lesen können muss, was in der Studie tatsächlich steht. Es kann nicht sein, dass einzelne Medienberichte die einzigen Quellen sind. So kann man auch differenzieren, was im Bericht an die Universitätsleitung enthalten ist und was aus weiteren Studien der Autorinnen resultiert.
Verschiedentlich wurde Kritik am Studiendesign geäussert. Wie stellen Sie sich dazu?
Siegert: Im wissenschaftlichen Diskurs ist es üblich, die Methodik von Studien kritisch zu diskutieren und auch zu hinterfragen, um die Erkenntnisse besser zu verstehen und kritisch einzuordnen. Nicht gut finde ich, wenn Personen ohne Fachexpertise oder aus einer ganz anderen Fachtradition kommend plötzlich die besseren Methodiker:innen sein wollen.
Stark: Zum Beispiel wurde kritisiert, dass auf dem Fragebogen geschlechterbezogene Rollenklischees genannt wurden, zu denen sich die Befragten äussern sollten. Aber wenn man herausfinden will, wie tief bestimmte traditionelle Geschlechterbilder in der Gesellschaft noch verankert sind, muss man genau dies tun. Das ist gängige und bewährte Praxis in den Sozialwissenschaften.
Welches sind für die Universitätsleitung die wesentlichen Erkenntnisse der von ihr in Auftrag gegebenen Studie?
Siegert: Hilfreich und wichtig ist die Erkenntnis, dass das Phänomen der Leaky Pipeline je nach Fach ganz unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Überraschenderweise ist es in traditionell männerdominierten Fächern viel weniger ausgeprägt als in Fächern mit hohem Frauenanteil.
Stark: Interessant ist auch die Erkenntnis, dass sich eine Minderheitsposition in einem Fach für Männer und Frauen ganz unterschiedlich auswirkt. Für Männer ergeben sich keine Nachteile, wenn sie in einem bestimmten Fach in der Minderheitsposition sind, im Gegenteil. Männer werden im Vergleich zu ihrer weiblichen Konkurrenz eher bevorzugt. Dagegen können Frauen, die in einem traditionellen Männerfach Karriere machen wollen, von ihrem Minderheitsstatus nicht profitieren. Unter dem Strich heisst das: Egal, ob sie als Frau in einem traditionellen Frauenfach oder einem traditionellen Männerfach studieren – sie haben immer noch Nachteile.
Müssen die Massnahmen, welche die UZH zur Förderung der Gleichstellung trifft, überdacht werden?
Siegert: Massnahmen in allen universitären Handlungsfeldern müssen von Zeit zu Zeit auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und wenn nötig angepasst werden. Das tun wir laufend. Studien wie die zur Leaky Pipeline helfen uns dabei.
Wie verfährt die Universitätsleitung als Aufraggeberin nun mit den Studienergebnissen?
Stark: Wir haben die Ergebnisse des Berichts wie gesagt bereits in der Erweiterten Universitätsleitung und im Führungsdialog vorgestellt und werden über die Massnahmen diskutieren. Eine konkrete Massnahme, die wir u.a. aufgrund der Erkenntnisse dieser Studie bereits eingeleitet haben, betrifft beispielsweise den Graduate Campus: Hier verlagern wir den Förderschwerpunkt von der Doktoratsstufe auf die Postdoc-Stufe und bauen dort insbesondere das Beratungs- und Coaching-Angebot weiter aus.
Siegert: Die Studie zeigt klar, dass wir fächerspezifische Massnahmen treffen müssen. Fächer mit weniger ausgeprägter Leaky Pipeline – dazu gehören viele naturwissenschaftliche Fächer – müssen sich darum bemühen, mehr Schülerinnen für ihre Studienprogramme zu gewinnen. Für Fächer mit ausgeprägter Leaky Pipeline liegt die primäre Herausforderung dagegen darin, mehr Postdoc-Forscherinnen im Wissenschaftssystem zu halten.