Kampf im und neben dem Sägemehl
8. September 2023 · Campus-News
Universität Luzern – Chiara Zgraggen
Schwingen gehört zur Schweiz wie Schokolade und Uhren. Zumindest solange Männer in die Zwilchhosen steigen. Demgegenüber steht das Frauenschwingen. Die Geschichte eines Sports, der so einige Skandale ausgelöst hat.
Aeschi bei Spiez, ein beschauliches Dorf im Berner Oberland. Knapp 2000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt der Ort, wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint.
Aber just jener Ort, an dem sich noch immer ein Gotthelf-Drama abspielen könnte, ist der Startpunkt einer Geschichte, in welcher Frauen in Zwilchhosen 1980 einer Männerbastion den Kampf ansagen.
Auf der einen Seite stehen jene Frauen, die sich wie ihre Brüder und Väter in die Schwinghosen stürzen wollen. Auf der anderen Seite ihre Gegnerinnen und Gegner, in deren Köpfen der gedankliche Horizont nicht mit dem visuellen Richtung Alpen korreliert. Eine Frau in Zwilchhosen will da nicht in den gedanklichen Horizont passen. Es ist bezeichnend, dass die Initiative für «Böse Frauen» aus dem ländlichen Raum kommt, denn, der Schwingsport respektive dessen Aufschwung ist den Städtern zu verdanken. Doch das ist eine andere Geschichte.
Am 15. August 1980 erscheint im Brückenbauer (heute Migros-Magazin) ein Artikel, der mit den Worten «Eine der letzten und solidesten Männerbastionen ist in Gefahr» beginnt. Der Anlass: Eine Woche vor dem Eidgenössischen Schwingfest in St. Gallen soll in Aeschi bei Spiez der erste Frauenschwinget stattfinden. Anlässlich dieser «Kuriosität» führt der Brückenbauer ein Interview mit Hans Bäni, Altobmann des Eidgenössischen Schwingerverbands. So neutral die Fragen des Journalisten sind, so emotional betroffen erscheinen die Antworten Bänis. Er sei nicht begeistert vom Unterfangen, «weil wir doch finden, das Schwingen sei ein Sport und ein Spiel, das nicht unbedingt für die Frau bestimmt und geeignet ist». Auf die Frage hin, ob Frauenschwingen Zukunftschancen habe, antwortet er: «Persönlich schaue ich das ganze mehr oder weniger als Gag an.» Darüber hinaus schicke er sicherlich keine Delegierte an den Anlass, denn jener in Aeschi bei Spiez sei «etwas Wildes». Zudem glaube er nicht an eine Zukunft des Schwingens für Damen. Damit sollte er Recht behalten – jedoch nicht hinsichtlich des ersten Frauenschwingets.
2019 wird der Journalist Linus Schöpfer in seinem Buch «Schwere Kerle Rollen besser» den ersten Frauenschwinget als «Woodstock des Frauenschwingens» bezeichnen. Tatsächlich ist das Fest in Aeschi bei Spiez von 1980 bis heute der vorläufige Höhepunkt des Frauenschwingens. Zwischen 10’000 und 15’000 Zuschauerinnen und Zuschauer lockt die Veranstaltung ins Berner Oberland. Wirtschaftlich gesehen profitieren auch die umliegenden Gemeinden, wo Bier, Zigaretten und Stumpen innerhalb kurzer Zeit ausverkauft gewesen sein sollen. «Das war eine richtige Völkerwanderung, wir hatten doch niemals mit so vielen Zuschauern gerechnet. Weil wir zu wenig Essen und Getränke hatten, ging viel Geld verloren», erinnert sich die Organisatorin Dora Hari 40 Jahre später in einem Blick-Interview. Weshalb so viele Menschen den ersten Frauenschwinget besuchen, ist unklar. Im Gegensatz zu den unmissverständlichen (meist männlichen) Reaktionen darauf. So schreibt beispielsweise Paul Dätwyler, damaliger Präsident der Jubiläumskommission des Schwingerverbandes in Basel, in der Jubiläumsschrift «75 Jahre Schwinger-Verband Basel-Stadt» 1982: «In den Sägemehlringen aber ist für Frauen kein Platz! Wer das will, gehört auf die Schaubühne der Sensation und des Varietés, nicht aber auf einen Schwingplatz.» Die Schwinger sollen die «mehr herumbalgenden denn schwingenden» Frauen nicht der Lächerlichkeit preisgeben. Frauenschwingen als Kuriosität – ein Denkmuster, das auch nach dem Grossereignis in Aeschi bei Spiez nicht so schnell aufbrechen wird.
Und was geschah danach? Der Eidgenössische Schwingerverband schreibt noch heute auf seiner Webseite, bis zur Verbandsgründung der Frauen 1992 hätten die Frauen lediglich heimlich zuhause mit ihren Brüdern geschwungen. Das ist aber falsch, wie etwa ein Artikel in der Zeitung Der Bund vom 24. August 1981 zeigt: Mitte August 1981 findet bei Aeschi in Spiez ein weiteres Frauenschwingfest statt, diesmal vor rund 2000 Zuschauerinnen und Zuschauern. Ein Bund-Journalist vermutet, ähnlich im Tenor derjenigen, die Frauenschwingen als etwas Eigenartiges abstempeln, die Zuschauereinbussen würden auf die bereits gestillte «Sensationslust» des vorigen Jahres zurückgehen. Und: Die sportliche Enttäuschung am ersten Frauenschwinget sei wohl zu gross gewesen. Nichtsdestotrotz schliessen sich die Schwingerinnen 1992 zu einem eigenen Verband zusammen. An der Akzeptanz der Schwingerinnen sollte das aber keinen Abbruch tun.
Schwingfest für Männer und Frauen nicht erwünscht
2006 passiert in der Schweiz wie auch global viel – Montenegro und Serbien erklären ihre Unabhängigkeit, die Vogelgrippe erreicht die Schweiz, Michael Schumacher beendet seine Karriere, die Vortriebsarbeiten für die NEAT beginnen. Auch im Schwingsport tut sich etwas: Am Regional-Schwinget in Ried (FR) vom 14. Mai 2006 treten erstmals sowohl Frauen als auch Männer im selben Sägemehl an. In einem Interview mit den Freiburger Nachrichten anlässlich des Festes schätzt Iréne Bodenmann-Meli, die Tochter des Spitzenschwingers Karl Meli, die Akzeptanz des Frauenschwingens höher ein als noch zu Beginn des Frauenschwingens 1980. «Es geht besser, seit man gemerkt hat, dass wir mehr können als nur Gugelhopf backen.» Die Akzeptanz in Schwingerkreisen hält sich aber auch im 21. Jahrhundert in Grenzen. So bleibt der Schwinget im Kanton Freiburg für den Schwingklub Kerzers nicht ohne Folgen: Der Eidgenössische Schwingerverband erteilt ihm einen Verweis und fordert ihn auf, künftig auf gemischtgeschlechtliche Schwingfeste zu verzichten. Um den eigenen Schwingern keine Steine in den Weg zu legen, lenken die Freiburger ein. 2007 dürfen Frauen nicht mehr mitschwingen. Dieser Entscheid stösst nicht überall auf Akzeptanz. Ein Redaktor des Murtenbieters schreibt am 19. Januar 2007 zum Auftritt der Frauen am «Skandal-Fest» von 2006: «Über 1000 begeisterte Zuschauer haben diesen Anlass besucht, was darauf hinweist, dass es für den Verband an der Zeit wäre, sich diesbezüglich zu öffnen.»
Die Akzeptanz des Frauenschwingens ist heute höher als zu Beginn des Eidgenössischen Frauenschwingverbandes 1992. Das zeigt sich unter anderem in der Veränderung der Berichterstattung. Untermalt 1992 das Schweizer Fernsehen einen Beitrag zum ersten offiziellen Eidgenössischen mit dem Lied «It’s A Man’s World» des US-Amerikaners James Brown, sind die Medienhäuser heute auf weniger wertende Berichterstattung bedacht. Unterschiede sind aber auch heute ersichtlich, beispielsweise in finanziellen Belangen; am Eidgenössischen in Pratteln 2022 darf sich der Schwingerkönig Joel Wicki über einen Gabentempel im Wert von über einer Million Franken freuen, bewegen sich diejenigen der Frauen im Bereich um 25’000 Franken. Ob das ein Zeichen geringerer Akzeptanz seitens der Sponsorinnen und Sponsoren gegenüber Frauenschwingen darstellt, ist ein möglicher Erklärungsansatz. Die Geschichte des Schwingsports zeigt: Die «solide Männerbastion» hat in den vergangenen Jahren an Beliebtheit gewonnen, spätestens mit der Krönung Jörg Abderhaldens zum Schweizer des Jahres 2007. Dem Aufstieg des Sports konnte auch das Frauenschwingen keinen Abbruch tun. Im Gegenteil.