Wenn von Social Media die Rede ist, habe ich sofort Facebook vor Augen, da dies die Plattform ist, die ich am häufigsten verwende. Inhaltlich wertvolle oder intellektuelle Inhalte gibt es zumindest in meinem privaten Facebook-Netzwerk nicht. Dort finde ich eher lustige Videos, Urlaubsbilder von Freunden oder Infos über aktuelle Veranstaltungen in meiner Stadt. Für mich erfüllt Facebook privat den Zweck der Unterhaltung.
Mit meiner Gewohnheit scheine ich nicht allein zu sein. 95% der Wissenschaftler nutzen laut einer Nature-Studie von 2017 Social Media, darunter 50% täglich Facebook. Der größte Teil der Facebook-Nutzung der Studienteilnehmer fiel jedoch mit 75% auf die private Nutzung. Die vielen Firmenseiten und professionellen Profile auf Facebook zeigen aber auch, dass man Social Media beruflich einsetzen kann. Insbesondere Twitter eignet sich für Diskussionen mit Kollegen z.B. über deren Forschungsergebnisse oder Methoden.
Neben Facebook, Twitter, Instagram und YouTube, in welchen sich private und berufliche Inhalte vermischen, gibt es auch rein professionelle Social-Media-Plattformen, die wir Ihnen näher vorstellen möchten. Warum es sich lohnen kann, diese Plattformen zu nutzen, aber auch, worauf Sie dabei achten sollten, verraten wir Ihnen in diesem Artikel.
Welche Social-Media-Plattformen für Wissenschaftler gibt es?
Der Begriff „Social Media“ umfasst verschiedene Online-Dienste, mit welchen wir selbst Inhalte erstellen und unter unserem eigenen Profil in unserem persönlichen Netzwerk von Personen und darüber hinaus öffentlich verbreiten können. Neben Blogs, Wikis und vielen weiteren Formen zählen auch soziale Online-Netzwerke dazu. Es gibt eine Reihe von Plattformen auf dem Markt, bei welchen Akademiker ein Profil erstellen und ihre Arbeit vorstellen können. Nicht alle Plattformen bieten auch die Möglichkeit der Vernetzung mit Kollegen. Nach diesem Kriterium lassen sich die professionellen Social-Media-Tools für Wissenschaftler nach zwei Arten aufteilen:
die reinen Profil-Plattformen und die Forschungsnetzwerke.
Profil-Plattformen
Diese Plattformen statten jeden Nutzer mit einem Profil und meist einem eindeutigen Identifier aus. Ein Autor kann identifiziert und dessen Publikationen, Peer-Review-Aktivitäten etc. verfolgt und damit der “Impact” seiner Arbeit gemessen werden. Insbesondere Autoren mit häufigen Namen oder deren Namen in unterschiedlichen Schreibweisen geführt wurden, profitieren davon. Bekannte Beispiele dieser Profil-Plattformen sind:
- ORCID
ORCID scheint am anerkanntesten zu sein, was daran liegen könnte, dass dieser Identifier von einer Non-Profit-Organisation angeboten wird. Damit ist er unabhängig von einer bestimmten Plattform bzw. Publikationen bei einem bestimmten Verlag. - Scopus Author Identifier (Elsevier)
Dieser Identifier wird automatisch bei der Veröffentlichung in einer Elsevier-Zeitschrift erstellt und mit den eigenen, weiteren Publikationen bei Elsevier verknüpft. - Publons (Clarivate Analytics)
Vergleichbar mit dem Angebot von Elsevier stellt auch Clarivate Analytics die Verbindung der Autoren mit den in den eigenen Datenbanken hinterlegten Artikeln her. In Publons wurde der vorherige Identifier ResearcherID integriert. - Google Scholar Citations
Über das Profil können Autoren verfolgen, wie häufig ihre bei Google Scholar gelisteten Arbeiten zitiert werden. Ein öffentliches Profil kann als Suchergebnis bei GoogleScholar angezeigt werden. - Kudos
Über Kudos können eigene Arbeiten verbreitet und mit mehr Kontext und Suchbegriffen angereichert werden. Ziel ist es, dass Ihre Arbeit gefunden wird. - ImpactStory
Im persönlichen Profil der Non-Profit-Plattform werden neben den eigenen Publikationen auch die Aktivitäten in Social Media etc. zur Messung des Impacts herangezogen.
Forschungsnetzwerke
Forschungsnetzwerke gehen noch einen Schritt weiter als die reinen Profil-Plattformen. Neben der Online-Präsentation der eigenen Arbeit bieten sie auch die direkte Kommunikation mit Kollegen an. Sie werden wohl aufgrund der erweiterten Funktionen auch häufiger genutzt. Obwohl sie ein Netzwerk für Wissenschaftler sein wollen, treten sie laut Katy Jordan von der Open University eher mit den wissenschaftlichen Verlagen in Konkurrenz als mit sozialen Netzwerken wie Facebook. Das bestätigt das Ergebnis der anfangs erwähnten Nature-Studie. Die berufliche und die private Nutzung der Netzwerke werden getrennt.
Zwei Netzwerke dominieren bei den Forschungsnetzwerken den Markt: ResearchGate und Academia.edu; es gibt aber auch weitere Netzwerke:
- ResearchGate
ResearchGate hat weltweit über 16 Millionen Mitglieder und ist am verbreitetsten in den Naturwissenschaften. Neben den eigenen Profilinformationen können wissenschaftliche Arbeiten hochgeladen werden. Es bietet einen eigenen Score zur Bewertung der Aktivität im Netzwerk an, der beispielsweise misst, ob man Fragen stellt oder beantwortet. - Academia.edu
Academia.edu hat über 117 Millionen Mitglieder und wird eher in den Geistes- und Sozialwissenschaften genutzt. Es ist besonders für die Suche nach Stipendien oder Jobs interessant. - Mendeley / Zotero:
Mendeley und Zotero sind primär Programme zur Literaturverwaltung, die aber um Funktionen eines wissenschaftlichen Netzwerkes für die gemeinsame Teamarbeit ergänzt wurden. Mendeley wertet außerdem die Artikel des Netzwerks aus und bietet auf dieser Grundlage zusätzliche Artikel-Empfehlungen an. - LinkedIn / Xing
LinkedIn und Xing sind berufliche Netzwerke aller Berufsgruppen nicht speziell für Akademiker, über die Personalabteilungen von Unternehmen mit Ihnen in Kontakt treten können und die bei der Jobsuche verwendet werden.
Warum kann es sich lohnen, akademische Social-Media-Plattformen zu nutzen?
In Ergänzung zum „offline“ Leben kann man sich über die Plattformen wunderbar mit Kollegen austauschen und vernetzen. Über die eigenen Forschungsgebiete entdeckt man weltweit neue Kollegen, die auf demselben Themengebiet forschen und kann für Kooperationen oder zum Ideenaustausch leicht aufeinander zugehen. Ganz so, wie Sie es mit Ihren Kollegen in Ihrer Institution machen würden – nur stehen Ihnen weltweit Bürotüren offen. Ohne viel zusätzlichen Aufwand bleibt man mit Hilfe der Netzwerke über aktuelle Trends und Diskussionsthemen des Fachbereichs auf dem Laufenden. Manche Plattformen geben auch Empfehlungen für potenziell interessante Artikel basierend auf dem Interessenbereich, den Sie angegeben haben.
Über die Plattformen werden auch Sie selbst und Ihre eigene Forschung sichtbar. Das persönliche Profil im Netzwerk ist wie ein öffentlich zugänglicher Lebenslauf. Man sieht, an welchen Einrichtungen Sie bereits tätig waren, auf welchen Konferenzen Sie Ihre Ergebnisse vorgestellt oder welche Arbeiten Sie publiziert haben. Sind die Plattformen verknüpft mit Literaturdatenbanken, kann Ihr Profil für die Recherche in diesen Datenbanken genutzt werden. Ihre Kollegen können sich so auch über ihre neuesten Arbeiten informieren lassen.
Erkennen andere Nutzer Schnittmengen und möchten Sie kontaktieren, dann sind Sie über die Plattform leicht erreichbar. Sie selbst können ebenso einfach mit vielen Kollegen gleichzeitig in Kontakt treten, um zukünftige, gemeinsame Forschungsprojekte zu planen. Durch Kommentare oder eigene Posts bringen Sie sich ins Gespräch ein und Ihre Kollegen nehmen Sie wahr. Das funktioniert natürlich auch in die andere Richtung.
Sie können dort nicht nur Ihre Meinungen und Erfahrungen, sondern auch Materialien wie Preprints Ihrer Paper oder Forschungsdaten austauschen. Und das viel schneller als über den klassischen Publikationsweg in einer Zeitschrift. In Echtzeit stellen Sie Ihre Ideen und Ihre Ergebnisse der Fachöffentlichkeit über Ihr Netzwerk bereit. Damit folgen Sie dem Weg der Open Science. Wer sichtbarer ist, wird auch häufiger zitiert. Zusätzlich erfüllen Sie damit den Zweck der Selbstarchivierung Ihrer wissenschaftlichen Resultate. Aber auch für die Lehre kann die Verbreitung der eigenen Lehrmaterialien sinnvoll sein.
Selbstmarketing hat etwas Angeberisches, mögen manche denken. Es spielt Ihnen aber nur in die eigenen Karten, Ihre Arbeit und Ergebnisse zu kommunizieren. Insbesondere zu Beginn der wissenschaftlichen Karriere ist die Pflege eines Online-Profils förderlich. Falls Ihre Institution Ihnen (noch) keine eigene Webseite bereitstellt, können Sie diese mit Hilfe der Plattformen selbst erstellen. Dann erhöhen sich die Chancen, dass Ihre Karriere und Forschung weiter voranschreiten, z.B. durch neue Stellenangebote oder Fördergelder. Arbeitgeber nutzen die Plattformen bei der Suche nach Kandidaten für offene Stellen. Zusätzlich bieten einige Netzwerke Metriken an, um den „Wert“ der eigenen Arbeit zu messen: nicht nur Likes und Shares, sondern auch Downloads von hochgeladenen Arbeiten, Zitierungen oder eigene Indizes. Diese Metriken sind auch Institutionen und Universitäten bekannt und können bei der Stellenvergabe und Beförderung berücksichtigt werden.
Worauf sollten Sie bei der Nutzung der Social-Media-Plattformen achten?
Wie entscheiden Sie sich nun für die für Sie passende Plattform? Wie auch bei Ihrer Literaturverwaltungssoftware haben Sie bei den professionellen, sozialen Medien die Qual der Wahl. Ihre Kollegen können Ihnen eine Orientierungshilfe sein. Dort, wo diese ihre Profile und ihr Netzwerk pflegen, könnte auch Sie sich anmelden und einbringen. Jedoch nutzen nicht alle Kollegen Ihres Fachgebiets auch diese Plattformen. Denken Sie daher auch über alternative Kommunikationswege und Kontaktmöglichkeiten nach und verlassen Sie sich nicht nur auf ein Netzwerk als „Blase“. Bei Plattformen, auf welchen Sie Ihre eigenen Veröffentlichungen hochladen können, besteht zudem die Gefahr, Urheberrechte der Verlage zu verletzen, bei welchen die Arbeiten veröffentlicht wurden. Dies führte beispielsweise dazu, dass Elsevier 2013 Autoren aufforderte, Artikel von Academia.edu zu entfernen. Prüfen Sie deshalb genau vor der eigenen Veröffentlichung Ihrer Arbeit (selbst Ihres Manuskripts), ob der Verlag dies erlaubt. Auf der Seite SHERPA RoMEO können Sie nach dem Verlag suchen, bei dem Sie Ihre Arbeit veröffentlicht haben und Ihre Rechte abfragen. Diese Gefahr besteht nicht, wenn Sie den Artikel zuvor Open Access veröffentlicht haben.
Informieren Sie sich auch darüber, ob Ihnen Ihre Institution eine Alternative anbietet, Ihre Arbeit in einem institutionellen Repository zu veröffentlichen und gleichzeitig zu archivieren. Denn Ihre Institution möchte mit der Veröffentlichung Ihrer Arbeit keine Einnahmen erzielen. Letzteres ist aber das Ziel der kommerziellen wissenschaftlichen Profil- und Netzwerkdienste. Informieren Sie sich darüber, welche Firmen hinter den Plattformen stecken und welchen Wert Ihre Daten für die Firmen haben könnten. Diese Überlegung brachte 2017 einige Akademiker dazu, ihre Konten bei Academia.edu zu löschen.
Investieren Sie nicht zu viel Zeit darin, verschiedene Plattformen zu pflegen. Die meisten Dienste erlauben es, die eigenen Profile untereinander zu verlinken oder die Daten von der Konkurrenz zu importieren. Sie könnten auch aus anderen Plattformen auf eine zentrale „Anlaufstelle“ verlinken. Das könnte Ihr institutionelles Repository oder auch Ihre eigene Webseite sein. Bei diesen besteht nicht die Gefahr, dass sie und Ihre Daten plötzlich nicht mehr verfügbar sein könnten, wenn der Dienst eingestellt wird.
Ein eigenes Profil in wissenschaftlichen Netzwerken zu pflegen ist sinnvoll für Ihre Karriere, wenn Sie auf die Fallstricke achten. Nutzen Sie die wissenschaftlichen Netzwerke genauso kritisch wie Ihre privaten Social-Media-Tools!
Welche wissenschaftlichen Profil-Plattformen oder Forschungsnetzwerke nutzen Sie? Hatten andere Gründe Sie zur Nutzung bewogen? Haben Sie Tipps, worauf man noch achten sollte? Ihre Kommentare auf Facebook unterstützen Ihre Kollegen.